Ein Freiluftstudio im Wald

Ein Freiluftstudio im Wald
Die Blätter der alten Buchen rascheln im Wind. Der Waldboden ist übersät von Bucheckern. In diesem Jahr tragen die alten Bäume, die zwischen dem Heringsdorfer Schulberg und dem Jägersberg seit Jahrhunderten wachsen, viele Früchte. Hier und da blinzelt die Sonne durch die dichten Kronen, streckt ihre Strahlenfinger bis hinunter auf den laubbedeckten Boden. Es duftet nach Moos und feuchter Erde. Die Welt mit ihrem Lärm und Trubel und Stress scheint unendlich weit weg. Herausgenommen aus der Zeit, zählt in dieser Idylle nur der Moment. Freiheit und Abenteuerlust werden wach.
So wie beim elfjährigen Hannes aus Erfurt. Er hat sichtlich Spaß beim Balancieren über den Hindernisparcours des Motorikpfades. Was bei ihm und seiner jüngeren Schwester aussieht wie ein Kinderspiel, ist für manch einen Grobmotoriker eine echte Herausforderung. Und das soll es auch sein. „Die Übungen auf dem Sensorik- oder dem Motorikpfad erfordern Körperbewegungen, die wir als Erwachsene sonst in unserem Büroalltag nur selten machen“, erklärt die stellvertretende Kurdirektorin der Kaiserbäder, Dr. Karin Lehmann.
Das 187 Hektar große Waldareal – von der Grundschule in Heringsdorf bis zur einstigen Thingstätte – wurde im Jahr 2017 zum 1. Kur- und Heilwald Europas gekürt. Mit seinen besonderen ortsgebundenen Heilmitteln wie der staubfreien und allergenarmen Wald- und Seeluft, seinen ätherischen Gerüchen, seinem milden Reizklima und seiner beruhigenden Wirkung soll er ein echtes Therapeutikum nicht nur gegen Stress, sondern auch gegen Atemwegs-, Gelenk- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie gegen psychosomatische Leiden sein.
Das wussten schon die Menschen des 19. Jahrhunderts, die den Wald schon damals ins gesundheitsfördernde Kurleben integrierten. Und heute erhalten mit dem Projekt des Bäderverbandes Mecklenburg-Vorpommern (2015) „Entwicklung der natürlichen Ressource Wald zum Kur-und Heilwald zur Nutzung als Therapeutikum und dessen Vermarktung“ Kur-und Erholungsorte erstmalig die Möglichkeit, speziell geeignete Kur-und Heilwälder auszuweisen. Und gerade der Heringsdorfer Wald hat sich bei genauer Begutachtung verschiedener Experten als besonders geeignet erwiesen.
Zusammen mit Medizinern und Förstern wurden in dem Mischwald barrierefreie und behindertengerechte Wege angelegt und verschiedene Stationen wie ein Motorikpfad mit Outdoor-Fitnessgeräten geschaffen, die den Bewegungsapparat schulen und das Erlebnis Wald eindringlicher machen sollen. Die Wege sind in drei verschiedenen Schwierigkeitsstufen angelegt – von leicht bis anspruchsvoll. So soll jeder seinen Spaß an der Bewegung finden. Begleitet werden die Wege und Stationen von 35 bebilderten Anleitungstafeln, die zu Aktivitäten und meditativen Übungen anregen wollen, aber auch etwas über die Tier- und Pflanzenwelt sowie die Geschichte bestimmter Orte wie der einstigen Bismarckwarte oder der Thingstätte erzählen.
Ein besonderer Heilwald-Abschnitt ist der Poesie-Pfad. Wer sich die Zeit nimmt und die Zitate berühmter Schriftsteller und Denker zum Thema Wald auf den Tafeln durchliest, entschleunigt im wahrsten Sinn des Wortes.
Und genau das ist auch das Anliegen des 1. Kur- und Heilwaldes. Durch das Erleben der Natur, von Gerüchen und Geräuschen soll physischer und psychischer Stress abgebaut, Entspannung gefördert, das Immunsystem und die Fitness gestärkt werden.
Der Wald ist für jeden frei zugänglich. Es gibt von allen Seiten Eingänge. Haupteingang ist jedoch an der Grundschule Heringsdorf auf dem Schulberg. Ein ausgewiesener Waldabschnitt ist durchgängig barrierefrei.
Text von Sandra Grüning
